Handgeschriebene Gedichte von Hans Christian Andersen aus der Bibliothek von Königin Caroline Amalie

In der Bibliothek von Königin Caroline Amalie lagen zwischen den vielen Büchern zahlreiche handgeschriebene Gedichte bedeutender dänischer Dichter jener Zeit. Darunter finden sich Gedichte von Adam Oehlenschläger, B.S. Ingemann, Carsten Hauch, H.P. Holst und N.F.S. Grundtvig sowie nicht zuletzt von Hans Christian Andersen.

Wie an ihrer Bibliothek zu erkennen ist, interessierte sich die Königin für zeitgenössische Literatur und arrangierte insbesondere während ihrer Witwenzeit literarische Salons im Palais Christians VIII. An Dienstagen traf sich eine kleine Gruppe geladener Gäste zu Lesungen und Diskussionen, und ein Teil der Gedichte, die ihren Weg in die Regale fanden, stammt zweifelsohne von diesen Zusammenkünften. Andere Gedichte sind mit Ort und Datum gekennzeichnet, woraus hervorgeht, dass sie z. B. auf Schloss Sorgenfri geschrieben wurden, wo Christian VIII. und Caroline Amalie auch Kulturpersönlichkeiten jener Zeit empfingen.

Von Hans Christian Andersen befinden sich acht handgeschriebene Gedichte in Caroline Amalies Bibliothek. Die meisten sind gedruckt, entweder zu Lebzeiten des Dichters oder in späteren Ausgaben seiner Werke, Tagebüchern und Almanachen. Einige sind noch unveröffentlicht. Der Großteil der Gedichte stammt von einem Aufenthalt mit der Königsfamilie beim Bruder der Königin, dem Herzog von Augustenburg, auf der Insel Föhr 1844. Ein Gedicht stammt von einer Fahrt mit dem Dampfschiff „Kiel“, der damaligen königlichen Jacht. Andersen unterhielt die Gesellschaft mit Improvisationen, die er häufig auf Verlangen aus dem Stehgreif dichtete.

An einem Abend auf dem Schiff improvisierte er ein Gedicht auf das Königspaar und eines auf die Königin alleine. Die zweite Improvisation erhielt den Titel „Da Maanen stod op“ (Als der Mond aufging) und lautet in wörtlicher

Übersetzung:

Siehe, dort steht ein glühendes Herz,
In den Wellen wurde es getauft,
Doch hier schlagen die lebenden Herzen,
Herzen im Wappen Dänemarks.

Hans Christian Andersen, „Zombien“ (Der Zombie), Gedicht improvisiert auf Schloss Sorgenfri, 10. September 1845

Der Titel „Der Zombie“ wird den heutigen Leser sicherlich verwundern, scheint er doch nicht zum Goldenen Zeitalter, sondern eher zu einem modernen Gruselfilm zu passen. Das Gedicht entstand 1845 auf Schloss Sorgenfri. Es wurde nie gedruckt.

Es ist das Ergebnis eines Tests des Dichters – er erhielt von der Gesellschaft eine Reihe scheinbar zufälliger Reimwörter, mit denen er improvisieren sollte, und der Titel sollte „Der Zombie“ lauten. Als Anregung diente sicherlich das lange Gedicht mit dem Titel „Det har Zombien gjort“ (Das hat der Zombie getan), das er 1838 herausgegeben hatte. Es handelt von einem schwarzen Sklavenjungen im Haus des spanischen Barockmalers Murillo, der sich als der größte Künstler von allen erweist – eine Variation des Themas „Das hässliche Entlein“, könnte man sagen.

Das Ergebnis der Improvisation mit den zufälligen Reimwörtern ist entsprechend auch nicht unheimlich, sondern eher ein Dank an die königlichen Gastgeber (wiedergegeben in wörtlicher Übersetzung):

Improvisation
Dazu die Angabe von Reimwörtern in folgender Reihenfolge.
Sommerabend – Strände – Auf Wiedersehen – Wasser – Segel – Hain – Spiegel – Weile – verschwand – Auge – begann – Flügel.
Die Überschrift sollte lauten: „Der Zombie“.

Der Zombie.
Meines Glückes Zombie kam an einem Sommerabend,
Und fand mich an Dänemarks Buchenstränden;
Glaubt nicht, er kam um mir Auf Wiedersehen zu sagen,
Er winkte mir an Sjølunds frischen Stränden zu,
Wo das Boot mit den roten Segeln gleitet,
Wo die Wolke im Sonnenschein häufig seltsam strahlt,
Wo des Meeres Oberfläche sich wie ein Spiegel ausbreitet,
Sah ich manch schönen Sommerabend,
Meines Glückes Zombie folgte mir und verschwand,
Ach, angstvoll schaute da mein Auge.
Wo ist mein Glück – ! Mein Glück soeben begann –
– Vor mir lag Sorgenfri mit seinen Flügeln!

Schloss Sorgenfri den 10. Sept. 1845
Hans Christian Andersen.